Am 5. Februar bestätigte die Volkskammer die "Regierung der nationalen Verantwortung" in der nun acht Minister ohne Geschäftsbereich von den Oppositionsgruppen gestellt wurden. Gleichzeitig wurde beschlossen, daß Rundfunk, Fernsehen und die Agentur "ADN" nicht mehr der Regierung unterstehen und jegliche Zensur fortan verboten sein sollte. (Lehmann 1996: 386; Semtner 1992: 93)
Mitte Februar fand ein Treffen zwischen Bundeskanzler Helmut Kohl und einer DDR-Delegation unter Hans Modrow statt, bei dem die Bildung einer gemeinsamen Expertenkommission zur Vorbereitung einer Wirtschafts- und Währungsunion vereinbart wurde. (Volkens & Klingemann 1992: 195; Semtner 1992: 95 ff.) Als Grundlage für die anstehenden Verhandlungen mit der Bundesrepublik verabschiedete am 5. März der "Runde Tisch" mit den Stimmen aller Vertreter eine Sozialcharta. Er versuchte damit seine selbstgestellte Funktion zu erfüllen, die bloße Einverleibung der DDR durch die Bundesrepublik gegen die Interessen ihrer Bürger zu verhindern. (Lehmann 1996: 388; Semtner 1992: 104) Entsprechend wurde am 19.2. der Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nach Art. 23 GG verworfen und auf der letzten Sitzung am 12. März das Selbstbestimmungsrecht der DDR-Bürger und die Gleichberechtigung beider deutscher Staaten eingefordert. (Lehmann 1996: 388)
Die Volkskammer billigte auf ihrer letzten Sitzung vor der Wahl am 7. März die Sozialcharta des "Runden Tisches" mit großer Mehrheit. In ihr wurden unter anderem soziale Sicherheiten festgeschrieben, wie das Recht auf Arbeit, Wohnen und Bildung, sowie die Fristenregelung beim Schwangerschaftsabbruch. (Lehmann 1996: 388) Eine neue Verfassung konnte hingegen von der mit der Ausarbeitung beauftragten Arbeitsgruppe des "Runden Tisches" nur in Fragmenten vorgestellt werden. Dies hatte seine Ursache nicht zuletzt darin, daß viele Gruppierungen aufgrund des Wahlkampfes und einer veränderten Programmatik ihr Interesse daran verloren hatten. (Semtner 1992: 112 f.)
Am 5. Februar verabredeten De Maizière, Ebeling und Schnur im West-Berliner Gästehaus der CDU das Wahlbündnis "Allianz für Deutschland", bestehend aus den prinzipiell eigenständig bleibenden Parteien CDU, DSU und dem "Demokratischem Aufbruch". Bundeskanzler Kohl, der anwesend war, sicherte für den Wahlkampf die Unterstützung der West-CDU zu. Die DSU forderte auf ihrem konstituierenden Parteitag am 18. Februar die deutsche Einheit "sofort" nach freien Wahlen durch die Übernahme des Grundgesetzes und der Rechtsordnung der BRD. Am 1. März wurde diese Forderung in das Sofortprogramm der "Allianz für Deutschland" übernommen. (Volkens & Klingemann 1992: 195; Lehmann 1996: 385 ff.) Anderslautende Beschlüsse des "Runden Tischs" waren damit für das konservative Lager ebenso wie die Erarbeitung einer neuen DDR-Verfassung hinfällig geworden.
Auch die SPD erhielt westliche Wahlhilfe: Ein gemeinsame Ausschuß von bundesdeutscher und DDR-SPD konstituierte sich am 4.2.1990 in Ost-Berlin. Auf dem ersten Landesparteitag vom 22. bis 26. Februar in Leipzig wurde die deutsche Einheit in drei Stufen als Wahlprogramm verabschiedet. Es sah eine Sozialunion vor, der eine Währungsunion und schließlich die Vereinigung von Bundesrepublik und DDR nach Artikel 146 des Grund- gesetzes folgen sollte. (Volkens & Klingemann 1992: 195; Lehmann 1996: 384, 387)
Die liberalen Kräfte bildeten letztendlich ebenfalls ein Wahlbündnis, das von der bundesdeutschen FDP unterstützt wurde: Zunächst konstituierte sich am 4.2. die FDP in der DDR als neue Partei aus liberalen Oppositionsgruppen. Die LDPD benannte sich am 9.2. in Liberal-Demokratische Partei LDP um. Rainer Ortleb wurde Nachfolger des nicht mehr kandidierenden Manfred Gerlach als Vorsitzender, womit auch diese Partei die personelle Abkehr zu ihrer Zeit als Blockpartei vollzogen hatte. Am 12. Februar schlossen sich die eben genannten Parteien und die "Deutsche Forumspartei", welche eine Abspaltung des "Neuen Forums" darstellte, zum "Bund Freier Demokraten" BFD als Listenverbindung für die Volkskammerwahl zusammen. Die deutsche Einheit wurde begrüßt. (Volkens & Klingemann 1992: 195 f.; Lehmann 1996: 386 f.)
Nur wenige Gruppierungen sprachen sich gegen einen zügigen Zusammenschluß von DDR und Bundesrepublik aus. Dazu gehörte die am 7.2. in Ost-Berlin gegründete Listenverbindung "Bündnis 90", welche weiterhin eine vorsichtige, stufenweise Annäherung der beiden deutschen Staaten anstrebte. Auf der Liste waren das "Neue Forum" NF , "Demokratie Jetzt" DJ und die "Initiative Frieden und Menschenrechte" IMF vertreten. Auf einen Partner aus der Bundesrepublik wurde bewußt verzichtet. Eine Woche später schlossen die "Grüne Partei" und der "Unabhängige Frauenbund" ein Wahlbündnis, das die deutsche Vereinigung als schrittweisen Reformprozeß propagierte. Auf der Liste kandidierten außerdem Mitglieder der "Grünen Liga", die wiederum ein Aktionsbündnis aus Umwelt- und Naturschutzgruppen darstellte. (Volkens & Klingemann 1992: 196; Lehmann 1996: 387)
Die PDS hatte naturgemäß in Bezug auf die deutsche Einheit von den nennenswerten Parteien(35) die größten Vorbehalte. Auf dem 1. Parteitag nach der Namensänderung wurde der Beschluß gefaßt, daß die schrittweise Vereinigung von DDR und BRD nur unter bestimmten Voraussetzungen zu befürworten sei, nämlich der Gleichberechtigung der DDR im Vereinigungsprozeß und der Wahrung ihrer sozialen Standards. (Lehmann 1996: 387 f.)
Die Stimmungslage in der Bevölkerung sprach indessen gegen eine vorsichtige und nur allmähliche Vereinigung der beiden deutschen Staaten. Am 12.2. wurde in Leipzig erstmals die erste Strophe(36) des Deutschlandliedes gesungen. Nur einen Monat später fand die letzte Montagsdemonstration statt, an der nur noch 30.000 bis 50.000 Menschen teilnahmen, die sich zum großen Teil aus Besuchern der Messe rekrutierten. (Lehmann 1996: 383, 389)
Die erste freie Volkskammerwahl am 18. März 1990 beendete das Provisorium der Regierung Modrow und des "Runden Tisches", sowie die Straßenkundgebungen.
Anzahl | % | Sitze | |
Wahlberechtigte | 12 426 443 | ||
Wähler | 11 604 418 | 93,38 | |
Gültige Stimmen | 11 541 155 | 99,45 | |
Christlich Demokratische Union Deutschlands (CDU) | 4 710 598 | 40,82 | 163 |
Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD) | 2 525 534 | 21,88 | 88 |
Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) | 1 892 381 | 16,40 | 66 |
Deutsche Soziale Union (DSU) | 727 730 | 6,31 | 25 |
Bund Freier Demokraten (BFD) | 608 935 | 5,28 | 21 |
Bündnis 90 | 336 074 | 2,91 | 12 |
Demokratische Bauernpartei Deutschlands (DBD) | 251 226 | 2,18 | 9 |
Die Grünen & Unabhängiger Frauenverband (GRÜNE - UFV) | 226 932 | 1,97 | 8 |
Demokratischer Aufbruch (DA) | 106 146 | 0,92 | 4 |
National-Demokratische Partei Deutschlands (NDPD) | 44292 | 0,38 | 2 |
Demokratischer Frauenbund Deutschlands (DFD) | 38192 | 0,33 | 1 |
Aktionsbündnis Vereinigte Linke. Die Nelken (AVL) | 20342 | 0,18 | 1 |
Wie aus der Tabelle ersichtlich wird, gewann die "Allianz für Deutschland" (dunkelste Unterlegung) beinahe die Absolute Mehrheit der 400 zu vergebenden Sitze. Damit bestätigte sich das Bild, welches sich aus den Demonstrationen ergeben hatte: Nach der "zweiten Wende" der Revolution stimmte nun fast die Hälfte der Bevölkerung einem umgehenden Anschluß der DDR an die Bundesrepublik zu. (Lehmann 1996: 389) Die aus der Oppositionsbewegung hervorgegangenen Kräfte hatten die Wahlen verloren. (Torpey 1995: 171) Nach langwierigen Verhandlungen wurde am 12. April ein Koalitionsvertrag zwischen CDU, SPD, DSU, BFD und DA (in Tabelle grau unterlegt) unterzeichnet. Deutschland sollte zügig durch den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik nach Artikel 23 GG vereinigt werden. Die SPD hatte ihren eigentlichen Wunsch einer Vereinigung nach Artikel 146 GG in dieser großen Koalition aufgegeben. Lothar de Maizière wurde mit 265 gegen 108 Stimmen bei neun Enthaltungen zum Ministerpräsidenten gewählt. (Lehmann 1996: 396)
Seit dem 27. April kam es auf Regierungsebene zu deutsch-deutschen Beratungen über die Wirtschafts- Währungs- und Sozialunion. Am 1. Juli 1990 löste die Deutsche Mark die DDR-Mark als Zahlungsmittel ab. Gleichzeitig wurde die Wirtschafts- und Sozialunion zwischen den beiden deutschen Staaten vollzogen. (Lehmann 1996: 398 ff; Müller-Enbergs 1992: 89). Folge war eine auch durch teilweise vorgenommene Gehaltsanhebungen nicht kompensierte erhebliche Nettolohnreduzierung, weil die Beschäftigten nun Sozialabgaben entrichten mußten. Gleichzeitig, wenn auch nicht ausschließlich als Folge der Währungsunion, stiegen Lebenshaltungskosten sowie Kurzarbeit- und Arbeitslosenquote bei einbrechender Industrieproduktion dramatisch an. Infolge der Zuspitzung der Lage nahm der Wunsch nach baldiger Vereinigung mit der Bundesrepublik in Bevölkerung und den meisten Parteien weiter zu. (Flassbeck & Scheremet 1992: 287 f.; Müller-Enbergs 1992: 90 f.)
Am 26. Juli 1990 einigten sich die Ausschüsse "Deutsche Einheit" von Bundestag und Volkskammer in einer gemeinsamen Sitzung in Bonn auf gesamtdeutsche Wahlen am 2. Dezember 1990. Schäuble und Krause unterzeichneten den entsprechenden gesamtdeutschen Wahlvertrag am 3. August. (Lehmann 1996: 407)
Die Regierung De Maizière durchlief eine turbulente Entwicklung, die hier aber nicht im einzelnen betrachtet werden kann. Ein besonders einschneidendes Datum war der 20. August 1990, an dem die Regierung ihre Zweidrittelmehrheit, die für Verfassungsänderungen notwendig war, verlor. An diesem Tag verließ die SPD nach einer umstrittenen Regierungsumbildung die Koalition, aus der sich bereits am 24. Juli die Liberalen zurückgezogen hatten, wobei die BFD-Minister aber im Kabinett verblieben. Entsprechend stellte der am 23. August von der Volkskammer verabschiedete Antrag, zum 3. Oktober den Beitritt der DDR zur Bundesrepublik zu erklären, einen Kompromiß zwischen Regierung und Liberalen sowie Sozialdemokraten in der Opposition dar. Am 31. August unterschrieben Schäuble und Krause schließlich den Einigungsvertrag. (Lehmann 1996: 407 ff.)
Zwischenzeitlich verschlechterte sich die wirtschaftliche Situation der DDR weiter. Im September waren bereits über 400.000 Menschen Arbeitslos, mehr als 1,7 Millionen befanden sich in Kurzarbeit. Die Industrieproduktion hatte sich seit Januar beinahe halbiert. (Flassbeck & Scheremet 1992: 287 ff.)
Der Beitritt der DDR zum Geltungsbereich des Grundgesetzes nach Artikel 23 wurde am 3. Oktober 1990 wirksam. Die DDR hörte auf als staatliches Gebilde zu existieren. (Lehmann 1996: 417)